"Predictive Policing"

Kanton Graubünden will mithilfe von Software Verbrechen verhindern

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von Maximilian Schenner und tme

Die Bündner Regierung will ein kantonales Bedrohungsmanagement zur Kriminalprävention aufbauen. Dabei soll auch "Predictive Policing"-Software zum Einsatz kommen. In weiten Teilen der Schweiz kommen bereits ähnliche Tools zum Einsatz; Experten stellen Wirksamkeit und Ethik in Frage.

(Source: RaphiD / Pixabay)
(Source: RaphiD / Pixabay)

Der Kanton Graubünden will mit Software Straftaten verhindern. Das ist die Essenz des kantonalen Bedrohungsmanagements, dessen Aufbau der Kanton in einer Mitteilung ankündigt. Ziel sei es, "gefährliche Entwicklungen von Personen frühzeitig wahrzunehmen, zu beurteilen und allenfalls dagegen zu intervenieren". Neben häuslicher Gewalt und Stalking richte sich das Programm auch gegen Drohungen gegen Schulen, gegen die Verwaltung oder andere Institutionen sowie den gewalttätigen Extremismus und die Radikalisierung, wie es seitens des Kantons heisst. Die Bündner Regierung habe den Projektaufbau bereits genehmigt.

Vorgabe des Bundes

Der Aufbau gehe einerseits auf Vorgaben des Bundes, andererseits auf Empfehlungen der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Bündner Baukartell zurück. Dies erklärte Justizdirektor Peter Peyer gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone SDA. "Es geht darum, die richtige Einschätzung zu treffen, zum richtigen Zeitpunkt zu reagieren, aber nicht zu überreagieren", zitiert "Fm1Today" das Interview mit dem Justizdirektor.

Dafür sollen auch Software-Tools des sogenannten "Predictive Policing" zum Einsatz kommen, wie "Fm1Today" weiter schreibt. Dabei wird mithilfe von Falldaten zukünftige Straftaten vorhergesagt, um den Einsatz der Exekutive entsprechend zu steuern. "Wenn diese Tools richtig und professionell eingesetzt werden, finde ich sie nicht problematisch", wie "Fm1Today" den Justizdirektor zitiert.

Was auf den ersten Blick an die strikte Überwachung in der Volksrepublik China oder etwa den Film "Minority Report" erinnert, ist in der Schweiz kein Novum. In vielen Kantonen nutzt die Polizei bereits ähnliche Tools, um verschiedene Kriminaldelikte zu unterbinden. Der Erfolg halte sich aber in Grenzen, schreibt die Plattform "Algorithmwatch.org" in einem Bericht vom Juli 2022.

Keine Lorbeeren für Anti-Einbruch-Tool

In Zürich, Aargau und Basel-Land kommen demnach schon seit 2013 sogenannte "Precobs" zum Einsatz, namentlich angelehnt an die "Precogs" aus "Minority Report". Die Software soll der Polizei bei der Prävention von Einbrüchen dienen. Dies anhand von Daten vergangener Delikte und basierend auf der Annahme, dass Einbrecher oft mehrmals auf kleinen Gebieten zuschlagen. Die logische Reaktion der Behörden sei erhöhte Polizeipräsenz in diesen Gegenden.

Tatsächlich sei die Zahl der Einbrüche in den drei Kantonen mit "Precobs" seit deren Einführung zurückgegangen, schreibt "Alorithmwatch" - allerdings auch in allen anderen Kantonen. In Zürich und im Aargau liege der Rückgang gar unter dem nationalen Schnitt von minus 44 Prozent. Damit steht in Frage, ob und in welchem Ausmass die Technologie für die Reduktion verantwortlich ist.

Dyrias, eine Software zur Prävention häuslicher Gewalt, sei in sechs Kantonen im Einsatz (Glarus, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, Thurgau and Zürich). Diese basiere auf einem Fragebogen zu potenziellen Täterinnen oder Täter, auszufüllen vom Polizeipersonal. Das Tool stufe Verdächtige entlang einer Skala von 1 ("harmlos") bis 5 ("gefährlich"). Einem Bericht des "SRF" aus 2018 zufolge habe Dyrias so rund 3000 Personen als gefährlich eingestuft. Die gesamte Zahl der untersuchten Personen ist ungewiss. Die Softwareanbieter geben an, acht von zehn potenziellen Straftätern richtigerweise als gefährlich einzustufen. Allerdings sei die Rate der Falschzuweisungen sehr hoch: sechs von zehn vermeintlich "gefährlichen" Individuen hätten eigentlich als "harmlos" eingestuft werden müssen, zitiert "Algorithmwatch" eine andere Studie. Das Tool erzielt seine hohe Trefferquote also durch grosszügige Verteilung der höchsten Gefahreneinstufung.

Beliebtheit durch mangelnde Transparenz

In allen deutschsprachigen Kantonen komme ausserdem ein Tool für den "Risikoorientierten Sanktionenvollzug" (ROS) zum Einsatz. In anderen Worten stuft die Software ein, mit welcher Wahrscheinlichkeit Gefängnisinsassen rückfällig werden. Die Dauer der Strafe soll dementsprechend angepasst werden. Auch hier ortet "Algorithmwatch" in Bezug auf eine Studie der Universität Zürich grosses Fehlerpotenzial.

Der Kanton Sankt Gallen teilte kürzlich mit, Predictive Policing mit einem Gesetzesnachtrag fix ins kantonale Polizeigesetz einfügen zu wollen. Warum sind derartige Systeme trotz ihrer Fehleranfälligkeit so weit verbreitet? In erster Linie aufgrund ihrer Undurchsichtigkeit, erklärt "Algorithmwatch". So wisse die Gesellschaft allgemein sehr wenig über Tools wie Precobs, Dyrias oder ROS. Auch hätten die damit überführten Personen oftmals nicht die finanziellen Mittel, um gegen die Natur der Anklage Einspruch zu erheben.

Weiter äussert "Algorithmwatch" ethische Bedenken. "Diese Systeme könnten die Menschen davon abhalten, ihre Rechte wahrzunehmen, und sie dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern", zitiert die Plattform den Forscher Moritz Büchi von der Uni Zürich. "Selbstverwirklichung und alternative Lebensstile könnten unterdrückt werden". Das wären dann tatsächlich Zustände, die man hierzulande bislang nur aus dem Kino oder aus Diktaturen wie jener im fernen Osten kennt.

Die Regierung in Peking verabschiedete 2021 ein neues Datenschutzgesetz. Dieses soll unter anderem das Tracking von Userdaten im Internet verbieten. Der Staat selbst ist davon aber ausgenommen, wie Sie hier lesen können.

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