BMW-Weltpremiere und eine Kamera für Naturdokus am SPIK 2022
Am 6. April hat der Schweizer Polizei Informatik Kongress zum ersten Mal seit 2019 wieder physisch in Bern stattgefunden. Die Teilnehmenden konnten neue Technologien für Einsatzkräfte entdecken - darunter auch solche, die weltweit zum ersten Mal gezeigt wurden.
Nach zwei Jahren unfreiwilliger Pause hat die Polizei am 6. April 2022 wieder das Stadion Wankdorf besetzt. Der Grund waren aber nicht unsittliche Hooligans, sondern die jährliche Tagung der Polizei-IT - der "Schweizer Polizei Informatik Kongress" (SPIK). Pandemiebedingt fand der Anlass vergangenes Jahr rein virtuell statt und 2020 wurde er komplett abgesagt.
In diesem Jahr fand der SPIK wieder wie gewohnt vor Ort im Berner Stadion Wankdorf statt - flankiert von einem Onlineprogramm für alle, die nicht nach Bern kommen konnten. Dass der Anlass wieder physisch über die Bühne geht, freute auch Valentin Bonderer, der Präsident des Vereins der Polizeiinformatiker Swiss Police ICT.
Obwohl Bonderer diese Stelle bereits im August 2020 antrat, ist dies seine erste physische Durchführung des SPIK. "Bisher habe ich als Präsident nur das Suchen, Verschieben und Absagen von Terminen erlebt", sagte er während seiner Begrüssung. "Es ist fast unglaublich, dass wir uns hier live treffen!"
Valentin Bonderer, Präsident Swiss Police ICT. (Source: Netzmedien)
Bonderer übergab das Wort an Dr. Michael Thali vom Institut für Rechtsmedizin. Thali sprach über die "Innovation Mensch"; so lautete der Titel seiner Rede. Zum Menschsein gehört es nun mal auch, abzuleben - nicht immer auf natürlichem Weg. Damit man in solchen Fällen nicht mehr darauf angewiesen ist, die Leiche in einer Autopsie aufzuschneiden, um die Todesursache zu ermitteln, entwickelte Thali die Virtopsy. Eine virtuelle Autopsie. Statt mit einem Skalpell wird die Leiche mittels Computertomographie oder Magnetresonanztomographie untersucht.
In Zürich erhalte heute schon jede Leiche auf diesem Weg einen Digital Twin. Diese virtuellen Reproduktionen geben beispielsweise über Frakturen und inneren Blutungen Auskunft - "ohne dass man den Körper aufschneiden muss", sagte Thali. Das habe einen massiven Impact - insbesondere für Angehörige von Glaubensrichtungen, die so eine Behandlung von Verstorbenen verbieten.
Die Virtualisierung endet nicht mit den Toten. Zusammen mit dem "3D Zentrum Zürich" und Formaltec (Forensic Machine Learning Tech Center) - "Wir haben noch keinen besseren Namen gefunden", scherzte Thali - werden auch die Lebenden und die Tatorte dreidimensional dargestellt. "In Zukunft können wir im Gerichtssaal die Szenarien in Virtual Reality präsentieren", sagte Thali. Einen ersten erfolgreichen Fall habe es bereits gegeben und auch die Kriminalfilmreihe Tatort griff dieses Projekt bereits auf.
Dr. Michael Thali vom Institut für Rechtsmedizin. (Source: Netzmedien)
Vergiftungen seien noch immer Problematisch. Aber auch hierfür gebe es moderne Geräte, die Blut- und Urinproben auf verdächtige Substanzen untersuchen könnten. Diese würden sogar noch unbekannte Drogen aufspüren. Man könnte sich fragen, ob solche teure Anschaffungen betriebswirtschaftlich sinnvoll seien. Thali versicherte aber, es habe sich auch finanziell gelohnt. Und zudem sei die Rechtssicherheit auf einem höheren Niveau.
Weltpremiere am SPIK 2022
Unter den Ausstellern am diesjährigen Kongress war auch BMW. Der deutsche Automobilhersteller zeigte im Stadion Wankdorf zum ersten Mal die Einsatzfahrzeugausführung des iX 50 xDrive.
Das Elektroauto hat eine Reichweite von rund 630 Kilometern und eine Höchstgeschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde (km/h). Auf 100 km/h kommt das Fahrzeug in 4,6 Sekunden.
BMW enthüllt die Einsatzfahrzeugausführung des iX 50 xDrive am SPIK 2022. (Source: Netzmedien)
Wie für moderne Autos üblich, ist der iX 50 xDrive eigentlich ein Computer auf Rädern. Das Fahrzeug sammelt und analysiert zahlreiche Daten. Teilweise reagiert es sogar auf diese Informationen in Form von Fahrassistenzsystemen. Das wirft zwei Fragen auf: 1. Was geschieht mit diesen Daten? 2. Behindern diese Fahrassistenzsysteme die Einsatzkräfte?
Die zweite Frage lässt sich schnell beantworten: Ja. Daher ist es auch ein Problem, dass gemäss EU-Gesetz die Fahrer diese Fahrassistenzsysteme ab 2024 nicht mehr abschalten können dürfen.
Die Teilnehmenden am SPIK 2022 konnten probesitzen in der neuen Ausführung des BMW iX 50 xDrive. (Source: Netzmedien)
"Einsatzfahrzeuge müssen aber auch mal bei Rot durchfahren oder ein anderes Auto rammen können", sagte Hans Steinbach, Key Account Manager Authority and Special Cars bei BMW Schweiz. Ausserdem wäre es doof, wenn ein Polizeifahrzeug automatisch an den Strassenrand fährt, wenn sich eine Rettungsgasse bildet für ebendieses Polizeifahrzeug. BMW diskutierte daher mit den Verantwortlichen in Brüssel. Das Resultat: Für Einsatzfahrzeuge wird es einen Schalter geben, um diese Systeme doch abschalten zu können.
Hans Steinbach, Key Account Manager Authority and Special Cars bei BMW Schweiz. (Source: Netzmedien)
Was mit den Daten von vernetzten Autos passiert
Die erste Frage betrifft Blaulichtorganisationen und Privatkunden: Was geschieht mit den Daten, die beispielsweise von der internen Kamera oder den Fahrzeugsensoren aufgezeichnet werden? Hier muss man unterscheiden: Nicht alle Systeme speichern diese Daten. Die Kamera etwa operiert mit einem Ringspeicher. Die Daten werden nur zur sofortigen Auswertung generiert. Das System achtet darauf, ob der Fahrer Anzeichen von Müdigkeit zeigt oder sogar schon kurz eingeschlafen ist. Etwa alle 25 Sekunden werden die Daten überschrieben und wenn die Zündung aus ist, sind sie weg.
Die nicht personenbezogenen Daten, wie etwa die Informationen zum Fahrverhalten des Autos, können hingegen ausgelesen werden. Allerdings könne BMW selbst nicht auf diese Daten zugreifen. Hierfür ist ein Amtshilfegesuch erforderlich. In der Schweiz heisst das: Die kantonale Staatsanwaltschaft muss die Staatsanwaltschaft in München kontaktieren und ein entsprechendes Gesuch einreichen. "Dies ist auch schon praktiziert worden und funktioniert sehr gut", sagte Steinbach.
Der Elektroroller BMW CE 40 P ist für den Einsatz in städtischen Gebieten gedacht. (Source: Netzmedien)
Für den Einsatz in der Stadt präsentierte BMW auch den Elektroroller CE 40 P. Dieser verfügt über eine Reichweite von 130 Kilometern bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Auf 50 km/h beschleunige der E-Roller in 2,6 Sekunden. Das Fahrzeug verfügt zudem über ein 10,25 Zoll grosses TFT-Farbdisplay.
Eine Kamera für Naturfilmer und Polizisten
Canon war ebenfalls am SPIK. Das Unternehmen zeigte den Vertretern der Blaulichtorganisationen eine Kamera für "Naturdokumentationen, wie man sie von BBC kennt", sagte Marcel Heß, Presales DACH bei Canon. Ursprünglich wurde die Kamera ME20F-SHN für Tierfilmer konzipiert. Der Hersteller habe jedoch erkannt, dass auch Polizeiorganisationen sich dafür interessieren und Canon erweiterte die Einsatzmöglichkeiten entsprechend. Die Gründe für dieses Interesse erklärte er in seinem Vortrag mit dem nicht sehr eingängigen aber dafür sehr präzisen Titel "Ermittlungen in herausfordernden Situationen über grosse Distanzen und bei sehr schlechten Lichtverhältnissen".
Die ME20F-SHN wurde für Aufnahmen bei minimalen Lichtverhältnissen entwickelt. Die Kamera kann Bilder mit einem ISO-Wert von bis zu 4'000'000 aufnehmen. Normale Kameras hören bereits bei einer Lichtempfindlichkeit von rund ISO 200'000 auf. Es gebe keine Kamera, die in dem Bereich auch nur annähernd mithalten könne, sagte Heß. Die Kamera übertreffe sogar Nachtsichtgeräte - da sie keine eigene Lichtquelle benötige und Farbbilder produziere.
Marcel Heß, Presales DACH bei Canon, mit der ME20F-SHN-Kamera. (Source: Netzmedien)
Mit dem EF-Bajonett kann die Kamera auch die leistungsstarken Objektive aus dem Broadcast-Bereich nutzen. So seien auch Beobachtungen über eine Entfernung von bis zu 2 Kilometern möglich. Aus dieser Distanz könne man ein Fahrzeug identifizieren; das Kennzeichen könne man aus einer Entfernung von 1 Kilometer noch lesen. Das Problem sei in der Regel nicht die Distanz, sondern eher, dass die Sicht versperrt ist, sagte Heß.
Verschiedene für Beobachtungen nützliche Features sind bereits in der Kamera integriert. So kann sie etwa zurückgelassene oder entfernte Objekte erkennen oder feststellen, ob Personen sich in einem Bereich aufhalten, wo sie nicht sein sollten. Für den Datenschutz könne man auch Bereiche definieren, die abgeschwärzt werden. Diese Privacy Masks seien fest im Videosignal eingebrannt und könnten anschliessend nicht mehr entfernt werden.
Ferner zeigten noch einige weitere Hersteller ihre Neuheiten für Blaulichtorganisationen am SPIK 2022. Darunter etwa Dreipol. Das Unternehmen präsentierte ein Tool, das stark an ein PC-Strategiespiel erinnert. Damit sollen Polizisten und Polizistinnen (vor allem diejenigen mit leitenden Funktionen) spielerisch lernen, wie sie etwa bei Demonstrationen taktisch so vorgehen, dass sie die Krisenherde einkesseln und die Situation entschärfen können.
Unisys stellte eine mobile Lösung vor, um Hausdurchsuchungen und insbesondere die Verwaltung der beschlagnahmten Gegenstände effizienter zu gestalten. Und Vertreter von Swisscom hielten gleich mehrere Vorträge: über Workflows bei der Videoüberwachung, über die Abhärtung von Notrufsystemen und über Kommunikationslösungen für die Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit (BORS).
Wie das PTI die Digitalisierung vorantreibt
Etwas politischer wurde es beim Vortrag von Markus Röösli, Direktor von PTI - eine milizbasierte Organisationsstruktur, die nach eigenen Angaben die Kooperation für gemeinsame polizeiliche Lösungen im Bereich Informatik, Telekommunikation und Polizeitechnik ermöglichen und unterstützen soll.
Die Organisation wurde Anfang 2021 gegründet und ist nun rund 450 Tage aktiv. "Jetzt geht es darum, Power auf den Boden zu bringen", sagte Röösli. Dies gelinge bereits "nicht schlecht".
Der Direktor gab ein paar Updates zu laufenden und kommenden Projekten, für die sich das PTI einsetzt. Da wäre beispielsweise die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie. Am Tag vor dem SPIK 2022 ging ein Internetportal online, auf dem die 250 Schweizer Waffenfachhändler die Käufe und Verkäufe von Waffen melden können. Das Portal ist Teil des umfassenderen Portals von Suisse ePolice.
Markus Röösli, Direktor von PTI. (Source: Netzmedien)
Auf dem Suisse-ePolice-Portal soll man bis Ende Jahr auch cyberkriminelle Vorfälle anzeigen können. Konventionelle Anzeigen sind bereits möglich. Auf dem Internetportal des NCSC kann man bereits derartige Vorfälle melden. Wie Röösli im Gespräch erklärte, arbeiten die beiden Organisationen daher zusammen, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden.
Noch nicht ganz so weit ist das Projekt Picsel. Dabei handelt es sich um eine Datenbank, die speziell für die Analyse und Auswertung von Cyberkriminalität entwickelt wurde. Diese ist aktuell nur in der Westschweiz und im Kanton Aargau aktiv. Das Projekt POLAP ist noch in der Konzeptphase. Das Ziel ist es, das Nutzerinnen und Nutzer kantonale, nationale und internationale Datenbanken immer und von überall aus abfragen können.
Wie geht es weiter mit dem PTI? Die Organisation macht sich bereits stark für einige Projekte, welche die Schweiz noch jahrelang beschäftigen werden. Aber das ist erst der Anfang. "Wir wollen und sollen noch grössere Projekte anstreben, die uns in der Digitalisierung weiterbringen werden", versprach Röösli dem Publikum.
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